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Marco Odermatt – einer wie Russi und Zurbriggen

Marco Odermatt – einer wie Russi und Zurbriggen

Seit der alpine Skiweltcup 1966 im chilenischen Portillo gegründet wurde, haben nur zwei Ausnahmeerscheinungen die Skination Schweiz in totale Euphorie versetzt: Bernhard Russi und Pirmin Zurbriggen. Marco Odermatt ist der dritte Superstar, der Kultstatus erreicht hat und den helvetischen Skihimmel erstürmt.

VON KARL WILD

Marco Odermatt – einer wie Russi und Zurbriggen 1

Unbändige Freude am Skifahren.

Gewiss, es gibt auch in der jüngeren Skigeschichte grosse Athleten, die mit herausragenden Leistungen die Massen begeisterten. Beat Feuz und Didier Cuche sind bloss zwei davon. Die aussergewöhnliche, anhaltende Strahlkraft eines Bernhard Russi oder Pirmin Zurbriggen aber erreichten auch sie nicht. Besonders bemerkenswert ist der Fall Russi. Seine zehn gewonnenen Weltcuprennen sind weit weg von jeglichen Rekorden, doch er gewann eben die richtigen Rennen zur richtigen Zeit. In den ersten vier Jahren nach der Gründung des Weltcups fuhren die Schweizer den Franzosen und Österreichern mehr oder weniger hinterher, der Frust der Nation war gross. Nie war deshalb das Umfeld für die Geburt eines neuen Stars so ideal wie an den Weltmeisterschaften 1970 in Val Gardena. Was der junge Andermatter dort mit seinem sensationellen Sieg auslöste, war ein Begeisterungssturm von ganz neuen Dimensionen.

«Wer Erfolge nicht feiern kann, führt ein trauriges Leben.»

Zwei Jahre später folgte der Olympiatriumph von Sapporo, und 1976 brachen gar alle Dämme: Mehr als 60 000 Zuschauer wollten am Bergisl über Innsbruck das Gigantenduell zwischen Russi und Österreichs neuem Superstar Franz Klammer miterleben. Jeder zweite Schweizer fieberte vor irgend einem Bildschirm mit, die Strassen waren leergefegt. Russi blieb in Innsbruck zwar «nur» Silber, doch er zählte zu den ersten, die Klammer gratulierten und zeigte auch damit seine wahre Grösse. Nach seinem Rücktritt 1978 startete er eine zweite glanzvolle Karriere als Ringier- Kolumnist, TV-Kommentator, Skipistenbauer, Werbebotschafter und Verwaltungsrat unter anderem bei Andermatt Swiss Alps und Andermatt Sedrun Sports von Samih Sawiris.

Auch Zurbriggen faszinierte, riss das Volk buchstäblich von den Sitzen. «Seine Ski tragen ihn wie Engelsflügel» schrieb die «New York Times» in einem grossen Porträt über den «Lockenkopf mit den feinen Gesichtszügen», der so gar nicht zu den üblichen Draufgängertypen im Skizirkus passen wolle. «Ein Ausnahmetalent, das erst noch bescheiden und seiner Heimat im hintersten Saastal tief verbunden ist und bleibt», so die NYT. 1985, als sich Zurbriggen in der zweiten seiner beiden gewonnenen Abfahrten von Kitzbühel am Meniskus verletzte, stand die Schweiz Kopf: Die Weltmeisterschaften von Bormio standen vor der Tür. Würde das Knie halten? Das «Knie der Nation» sorgte in sämtlichen Medien von «Blick» bis NZZ wochenlang für Schlagzeilen – und es hielt. Zurbriggens Abfahrtssieg in Bormio verfolgten 1,7 Millionen Menschen am Schweizer Fernsehen, eine bis heute unerreichte Rekordmarke. Zurbriggen ist Olympiasieger, vierfacher Weltmeister, er gewann 40 Weltcuprennen und wurde viermal Sieger des Gesamtweltcups. Heute führt er zusammen mit seiner Familie das Suitenhotel Zurbiggen in Zermatt, eines der Besten überhaupt in den Alpen.

Und jetzt also der erst 26-jährige Innerschweizer Marco Odermatt, der aktuell beste Skifahrer der Welt. Dass er mit den beiden legendären Superstars Gemeinsamkeiten hat, ist unverkennbar. Auch er ist eine starke Persönlichkeit, ist charismatisch und bescheiden. Andere sehen ihn als furchtlosen, kompromisslosen Draufgänger, einen rennsportlichen Killer, der aber zur rechten Zeit auch gern mit Freunden fröhliche Feste feiert. Vermutlich ist es die Mischung aus allem, was ihn derart erfolgreich und zum grossen Sympathieträger macht.

Marco Odermatt

Fast schon zur Gewohnheit geworden: Odermatt mit Kristallkugel.

Spricht man mit Trainern und Konkurrenten über die Gründe für Odermatts Erfolge, werden drei Komponenten regelmässig genannt: Können, Kopf und Körper. Wobei das Können mit Talent und Instinkt einhergeht. Skifahren sei das, was er am besten könne, sagt Odermatt. Wichtig sei, dass man im wichtigen Moment das Richtige mache. Weil er diesen Glauben an sich selbst hat, braucht er für eine Abfahrt im Unterschied zu vielen andern auch nicht besonders viel Überwindung. Und damit sind wir beim Kopf. Hier verbirgt sich die positive Lebenseinstellung, die Zuversicht und die ungeminderte, geradezu unbändige Freude am Skifahren, die ihn als Spitzensportler ausmachen.

«Ohne Fans bist du als Sportler niemand.»

Natürlich steht hinter den Erfolgen auch knallharte Arbeit. Odermatts Zeiten im Kraftraum sind kurz, aber brutal. Niemand würde es bemerken, wenn er die letzte Übung ausliesse. Aber er führt jede Serie zu Ende, weil er weiss, dass sich das Kneifen irgendwann im Winter rächen würde. «Im Frühling nahm ich drei Wochen Ferien, dann gab ich wieder Vollgas», sagte er an einer seiner Medienkonferenzen. Kein einziges Training habe er ausgelassen, sei immer ans Limit gegangen. «Ich bin kräftiger geworden, an dem sollte es nicht scheitern.»

Wenn einer weiss, wie wichtig der Zustand des Körpers ist, dann ist es Odermatt. Denn in seiner frühen Jugendzeit im heimischen Buochs hinkte er den andern immer ein wenig hinterher, war klein und leichtgewichtig. So lernte er zu kämpfen und musste immer etwas mehr tun, um sich gegen die stärkeren Athleten durchzusetzen. Es war das Beste, was ihm passieren konnte. Interessant in dem Zusammenhang: Wenn Odermatt heute aufsteht und das Krafttraining steht auf dem Plan, denkt er nie, wie toll das doch sei. Diese Sessions macht er nämlich nie aus reiner Freude, sondern weil er muss. «Wenn ich meine Profikarriere mal beende», verriet er dem Magazin seines Hauptsponsors Red Bull, «ist Krafttraining das Erste, was ich aus meinem Leben streiche».

«Odi», wie er im Volksmund längst genannt wird, hat gelernt, mit dem Erfolg zu leben. Bisweilen stresst es ihn zwar, wenn er kaum seine Ruhe hat, doch dann geht er mit seiner Freundin Stella Parpan, einer Medizinstudentin, wandern, mit Kollegen biken oder zum Wakeboarden auf den nahen Vierwaldstättersee. Nie aber käme es ihm in den Sinn, sich über die Aufmerksamkeit der Leute zu beklagen. Denn er weiss: «Ohne Fans bist du als Sportler niemand, bist nur einer, der schnell den Berg hinunterfährt. Mit Fans bist du der, der die Menschen erreicht.» Er meidet auch nicht Veranstaltungen mit vielen Menschen. Er geht, zumindest heute noch, an Fussballspiele, ans Schwingfest oder ans Seenachtfest. Nur von Selfies will er im Ausgang nichts wissen. Und er wird seine Siege nach wie vor geniessen: «Wer Erfolge nicht feiern kann, führt ein trauriges Leben.»

Auch Hamburger und Pommes liegen mal drin.

Odermatt ist auch deshalb zum besten Skifahrer der Gegenwart geworden, weil er nicht stur ist und sich in irgend etwas verbeisst. Für ihn gibt es ein Leben auch neben dem Sport. Dass er sich gesund ernährt, ist selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich isst er auch Hamburger und Pommes. Und ein paar Biere mit Freunden liegen nicht nur nach Grosserfolgen drin, sondern auch mal im Ausgang. Es ist gewissermassen sein Trick, dass er von allem etwas macht, aber nichts zu viel. Und er lädt auch mal alle ein. Wie an der WM in Courchevel im vergangenen Winter, als er mit Partnerin und zehn Freunden essen ging. Die Rechnung ging nicht deshalb auf ihn, weil er mittlerweile Multimillionär ist. Das Geld hat sein Leben in keiner Weise verändert. «Aber die Leute sind schliesslich extra nach Courchevel hinauf gefahren und haben Geld dafür ausgegeben», meinte er. «Ich hingegen brauchte zwei Wochen lang keinen Rappen.»

Marco Odermatt – einer wie Russi und Zurbriggen 2

Doppelweltmeister in Courchevel.

Russi, Zubringen und Frehsner über Marco Odermatt

Die ReiseLust hat drei ganz Grossen des Skiweltcups fünf Fragen zu Marco Odermatt gestellt: den einstigen Superstars Bernhard Russi und Pirmin Zurbriggen sowie Karl Frehsner, dem erfolgreichsten Trainer der Skigeschichte.

1. Was beeindruckt Sie an Marco am meisten?
Russi: Sein multisportives Bewegungstalent und seine Natürlichkeit, seine Bodenständigkeit.
Zurbriggen: Seine Sensibilität zur Geschwindigkeitseinschätzung auf den Ski. Auch seine menschliche, demütige Haltung kommt ihm sehr zugute.
Frehsner: Seine Persönlichkeit. Er ist so, wie ich ihn vor vielen Jahren kennen gelernt habe: ein realistischer, angenehmer, volksnaher Mensch, ein normaler Bürger. Er hat den Gleichgewichtsinstinkt einer Katze, die immer auf den Beinen landet. Und er tritt immer cool und gelassen auf, ohne jegliche Selbstüberschätzung.

2. Wenn man ganz oben ist wie jetzt Marco: Wie schwierig ist es, oben zu bleiben?
Russi: Indem man sich bewusst ist, dass jeder Erfolg von einem Wellental begleitet wird. Dass man ab und zu auch wieder runter muss. Dass man verlieren lernt.
Zurbriggen: Der Gejagte zu sein ist immer schwieriger. Vor allem im Skirennsport, wo es viele Einflüsse gibt und viele Athleten bereit sind, das letzte Risiko einzugehen.
Frehsner: Das hängt von vielen Dingen ab. Vor allem von der Gesundheit und ob man unfallfrei bleibt. Und dass man sich selbst bleibt und nicht das tut, was andere wollen.

3. Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen, um das Top-Niveau zu halten?
Russi: Körperliche Ausgeglichenheit und Fitness, mentale Zufriedenheit. Wachsende Erfahrung und Taktik in bezug auf Grenzerfahrung (Limite).
Zurbriggen: Dass man das Talent ausschöpft, auf das eigene Körpergefühl zählt und die Erholung nicht zu kurz kommen lässt.
Frehsner: Gesundheit, keine Unfälle, richtige Selbsteinschätzung, optimales Training, die immense Arbeit als Freude empfinden, Verzicht auf viele reizvolle Nebensachen.

4. War es für Marco von Vorteil, dass er den Vertrag mit seiner Skifirma Stöckli bereits bis zu den Olympischen Spielen 2026 verlängert hat?
Russi: Das war einer der klügsten Entscheide. Damit sind Ruhe, Vertrauen und Konstanz eingekehrt.
Zurbriggen: Mit Stöckli ist er aufgewachsen, und er weiss, was er an der Firma hat. Er weiss auch aus eigener Erfahrung, wie er die Ski in welcher Situation zu fahren hat. Dabei kann er auf Menschen zählen, die sehr viel Wissen haben und grosse Arbeit leisten. So kann er sich optimal auf die Saison und auf jedes Rennen vorbereiten. Es ist wie in einem Formel-1-Team, das gut geführt werden muss und die richtigen Feedbacks liefert.
Frehsner: Vertrauen ist alles, und das hat er. Er selbst lenkt die Ski ins Ziel. Er spürt, was für ihn das Idealste ist.

5. Halten Sie es für möglich, dass ein einziger Fahrer den Weltcup noch einmal so dominieren kann wie zuletzt Marcel Hirscher?
Russi: Ja! Marco Odermatt. Ich sehe keine Gegner, wenn er unfallfrei und gesund bleibt.
Zurbriggen: Das ist immer möglich, doch es kommt auf die Gesundheit an und wie stark die Gegner sind.
Frehsner: Ja und nochmals ja.

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Emotionale Meilensteine

Ein paar der wichtigsten und emotionalsten Meilensteine in der Karriere von Marco

Odermatt:

2016
– Weltcupdebüt am Weltcupfinale in St. Moritz.
– Erste Weltcuppunkte (Platz 17) im Riesenslalom von Sölden.

2018
– Fünffacher Junioren-Weltmeister in Davos (was vor ihm noch keiner geschafft hat).

2019
– Erster Podestplatz im Riesenslalom von Kranjska Gora.
– Erster Weltcupsieg im Super-G von Beaver Creek.

2021
– Erstmals Schweizer Sportler des Jahres.

2022
– Siege im Riesenslalom von Adelboden und im Super-G von Wengen.
– Riesenslalom-Gold an den Olympischen Spielen von Peking.
– Gewinner der Riesenslalomwertung.
– Erster Schweizer Gewinner des Gesamtweltcups seit Carlo Janka 2010.
– Zwölf Weltcup-Podestplätze in Folge.
– Schweizer Sportler des Jahres.

2023
– Gold in Abfahrt und Riesenslalom an den Weltmeisterschaften in Courchevel.
– Gewinner des Gesamtweltcups mit der Rekordzahl von 2042 Punkten.
– Gewinner der Super-G- und Riesenslalomwertung.
– Schweizer Sportler des Jahres.

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