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Der abenteuerliche Start in Genf

Erinnerungen von Hausi Leutenegger an sein Nomadenleben

«Ich hatte mich für Weiterbildung entschlossen, auch wenn es nur das Erlernen einer Fremdsprache war. So ging ich kurzerhand in mein Zuhause in Bichelsee, packte mein Köfferchen, behändigte meine Ersparnisse von knapp 350 Franken und fuhr am folgenden Tag im Bahnhof Genf ein. Es war der 30. August 1961, am 1. September sollte ich mich in der Sulzer- Filiale zum Arbeitsbeginn melden. In Genf wurde mir allerdings schon eine Stunde nach der Ankunft klar, dass ein Deutschschweizer in dieser Stadt ein niemand war. Ein absolutes Nichts. Erst recht natürlich, wenn er kaum richtig Bonjour sagen konnte. Entsprechend schwierig war es für mich, ein Zimmer zu finden. Nachdem ich Hände und Füsse zu Hilfe genommen hatte, wies mich jemand in ein muffiges kleines Büro weit hinten in einer Ecke des Bahnhofs. Für 20 Franken erhielt man hier im Normalfall die Adressen von ein paar freien Zimmern. Im Moment war nur eines frei. Für 60 Franken im Monat an der Rue de Lausanne.

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Hausis Erkenntnis: Mit dem Velo in Genf keine Zukunft.

Immer wieder bei der Heilsarmee

In dem Zimmerchen konnte ich für drei Monate bleiben, dann ging die Suche von vorne los. Der Jammer war, dass die Schlummermütter in Genf keine Deutschschweizer beherbergen wollten. Diese kamen in der Beliebtheitsskala noch hinter den Italienern und Spaniern. Erhielt ich doch ein Zimmer, so war das jeweils für höchstens einen Monat. Hin und wieder zog ich auch freiwillig vorzeitig aus. Dann etwa, wenn man mich bemuttern wollte. Hatte ich gar keine Bleibe, was immer wieder vorkam, schlief ich bei der Heilsarmee. Das waren grossartige Leute, wie ich später auch im Ausland feststellen durfte. Einmal schien sich doch noch eine dauerhaftere Lösung anzubieten. An der Rue de la Servette erhielt ich ein nettes Zimmer bei einem kinderlosen Ehepaar. Sie war eine stramme Frau, er als Vertreter viel unterwegs. Leider schaute die Frau so gut zu mir, dass der Mann mir nahelegte, meinen Koffer zu packen und zu verschwinden.

Ich war der Bauchnuschti

Mittlerweile hatte ich mich in der Stadt gut eingelebt und arbeitete als Monteur in der Grand Passage. Auch dem Turnverein Helvetia war ich beigetreten und fand dort rasch gute Freunde. Am 1. Juni 1962 gewann ich am Genfer Kantonalturnfest das Nationalturnen, und danach zeichnete sich das Ende meines Nomadenlebens ab. Zusammen mit den Turnvereinskollegen Richi Breitenmoser und Gerd Baumann konnte ich eine Wohnung mieten. Sie kostete 350 Franken im Monat und lag mitten in der Stadt. Breitenmoser und Baumann waren Bürolisten und gingen jeweils in weissen Hemden und Krawatten zur Arbeit. Dieses Tenü trug damals jeder, der in einem Büro arbeitete. Auch wenn er bloss Papierkörbe leerte.

Für meine Wohnpartner war ich natürlich der Bauchnuschti und bekam in dieser Richtung allerhand zu hören. Kroch ich morgens in aller Herrgottsfrühe aus den Federn, mahnten sie mich, leise zu sein. Sie müssten schliesslich bis acht Uhr schlafen. Und abends solle ich nicht vergessen, die Hände zu waschen. Sie hätten Besuch von Damen. Das stimmte zwar, nur vergassen sie jeweils, dass in der Regel ich es war, der für den Besuch sorgte. Aber es waren tolle Kollegen. Und eines hatte ich ihnen auch noch voraus: Ich verdiente mehr als sie beide zusammen. Dass unser Kühlschrank immer gut gefüllt war, lag weitgehend an mir.

So konnte es nicht weitergehen

Überhaupt ging mir langsam auf, welche Vorteile es hat, wenn man Geld hat. Als ich in einer Freitagnacht um ein Uhr vor der Bar wieder einmal sah, wie die Genfer Millionärssöhne mit ihren schnittigen Sportwagen die Deutschschweizer Mädchen abschleppten, war mir endgültig klar: Mit meinem Velo würde ich ewig die Zwei auf dem Rücken tragen. Es war an der Zeit, etwas anderes zu machen, endlich richtig Geld zu verdienen. Immer öfter überlegte ich, wie ich das anpacken sollte, wie ich mein blaues Überkleid loswerden könnte. Da fiel mir ein Inserat im «Blick» auf. Gesucht wurden stramme Vertreter, die ein Wunder-Reinigungsmittel an den Mann oder besser die Frau bringen sollten. Es war der Beginn meines ebenso kurzen wie verrückten Vertreterdaseins. Anschliessend verkaufte ich fettfreie Bratpfannen, pries Waschmaschinen an, hatte alle möglichen Nebenjobs und fuhr schliesslich als Monteur nach Holland. Danach wurde alles anders.»

(Aufgezeichnet von Karl Wild)

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